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Gabler, Andrea: Antizipierte Autonomie
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Zur Theorie und Praxis der Gruppe »Socialisme ou Barbarie« (1949-1967)
Noch bis vor kurzem galt die politische Gruppe um die Zeitschrift »Socialisme ou Barbarie« (1949-1967) in Deutschland als Geheimtip. In Frankreich hingegen war sie längst als wichtige Anregerin der Neuen Linken und des Mai ‘68 anerkannt. Im angespannten Klima des Kalten Krieges zwischen den Apologeten des westlichen Kapitalismus und den Anhängern des Stalinismus entwickelte die linkslibertäre Gruppe um Cornelius Castoriadis, Claude Lefort, Jean-François Lyotard, Henri Simon, Yvon Bourdet, Benno Sarel, Daniel Mothé und andere ihre undogmatischen marxistischen Positionen weiter zur radikalen Kritik am Marxismus selbst. In revolutionärer Absicht knüpfte sie an rätedemokratische Traditionen an und entdeckte das kreative Potential und die Selbsttätigkeit der Menschen als wichtigste Quelle der angestrebten Emanzipationsprozesse zu einer selbstbestimmten radikaldemokratischen Gesellschaft. Dieses Buch ist die erste ausführliche deutschsprachige Rekonstruktion der Geschichte von »Socialisme ou Barbarie«. Es basiert neben der kritischen Auswertung der Zeitschrift auch auf einer Befragung ehemaliger Mitglieder der Gruppe. Ins Zentrum ihrer Darstellung rückt Andrea Gabler eine Analyse des Projekts einer »revolutionären Arbeitsforschung«. Mit den »témoignages« – den authentischen Selbstzeugnissen der Arbeitenden aus ihrem Arbeitsalltag in Industrie und Verwaltung – begründete »Socialisme ou Barbarie« eine eigene Form von Aktionsforschung mit dem Ziel, die entfremdeten Arbeitsverhältnisse durch Selbstinterpretation der Alltagserfahrungen zu artikulieren, um sie verändern zu können.Diese »témoignages« beleuchten detailliert den Despotismus bürokratisch-kapitalistischer Unternehmensorganisation. Auf dieser empirischen Basis entwickelt v.a. C. Castoriadis die Theorie der Gleichzeitigkeit von Einschluß und Ausschluß der Arbeitenden. Dieses Nebeneinander von Selbsttätigkeit (Autonomie) und betrieblicher Fremdbestimmung (Heteronomie) macht soziale Prozesse doppeldeutig und eröffnet neue Perspektiven emanzipatorischer politischer Praxis. Dieser theoretische Zugang kann aktuell die Diskussionen über Organisationswandel, neue Managementmethoden und die »Entgrenzung« von Arbeit, aber auch die Debatte um die Möglichkeit einer »anders organisierten Welt« kritisch anregen und konstruktiv weiterführen. Andrea Gabler zeigt, daß auch in den kleinen Konflikten und Widersprüchen des (Arbeits)- Alltags die Idee der Autonomie immer wieder als unabgegoltene Forderung aufscheint und zu neuen Aktionsformen anregt.